30.10.2022, 12:44 Uhr

Exkursion in den Dünnwalder Wald – eine Nachlese

Warum ist der Mutzbach ein Kanal und was bedeutet das für den Hochwasserschutz? Was wäre, wenn die Wisente im Wildpark frei umherlaufen dürften? Fressen die Rehe wirklich den Dünnwalder Wald auf, wenn man sie nicht abschießt?

Auf all diese Fragen gab es auf der knapp dreistündigen Exkursion mit Holger Sticht (BUND NRW und Bündnis Heideterrasse e.V.) natürlich auch Antworten.

Holger Sticht in der Mutzbach-Aue
Holger Sticht in der Mutzbach-Aue
© Justus Siebert
Gestartet wurde am Parkplatz vom Freibad Dünnwald, über das wir erfuhren, dass es gar kein Naturschwimmbad mehr ist wie einst. Über den Mutzbach ging es zum Zaun des Wildgeheges Dünnwald, und das waren auch schon die ersten Stichworte. Zunächst zum Mutzbach, welcher höher gelegt und kanalisiert ist, so, wie ihn die AnwohnerInnen nun mal kennen. Tatsächlich habe es ursprünglich eine Mutzbach-Aue gegeben, weiter unten, das Bachbett habe viel mehr Raum gehabt, sich dynamisch durch den Dünnwald zu ergießen, da, wo jetzt die Gehege des Wildparks ihren Platz gefunden haben. Oder Forstflächen. Dabei erfüllen Auen eine wichtige Funktion in Sachen Hochwasserschutz, in diesem Falle für den Kölner Stadtteil Dünnwald. Der wurde nämlich auch im Hochwasser-Katastrophen-Sommer 2021 überflutet, weil die Wassermassen sich nicht verteilen konnten in der Mutzbach-Aue, die es nicht mehr gibt. Ein Grund mehr, sich Gedanken um eine Renaturierung zu machen. Ein anderer Grund: Angesichts der zunehmenden Wasserarmut im Zuge des Klimawandels (Dürre-Sommer) ist es um so wichtiger, das Wasser, wenn es mal in Form von Niederschlag kommt, möglichst lange in der Fläche zu halten, statt es über einen kanalisierten Bach möglichst schnell in den Rhein abzuleiten.

Das andere Stichwort: Wildgehege. Wo wir schon am Zaun des Damhirsch-Geheges standen, gleich ein paar Worte dazu. Dass wilde Tiere sich besser frei in ihrer natürlichen Umgebung bewegen können sollten, scheint logisch. Aber sind Damhirsche eigentlich einheimische Wildtiere? Und was ist mit den Wisenten, von denen man im Wildpark auch eine kleine Herde zu sehen bekommt? Sind die nicht etwas groß, und gefährlich, in einem ja nicht soo großen Dünnwalder Wald? Und fressen die dann nicht ganz schnell den Wald auf, wenn das ja schon den kleinen Rehen unterstellt wird?

Häufig gestellte Fragen, die noch häufiger mit „ja“ beantwortet werden (ja, die Rehe müssen geschossen werden, damit sie die Jungbäume nicht auffressen; ja, der Wisent ist zu groß, er gehört nicht mehr in unsere Wälder). Diese Antworten kommen aber meist aus Förster- oder Jäger-Perspektive. Dass sie in den Medien weit verbreitet werden, bedeutet aber nicht, dass sie so stimmen. Der/Die eine oder andere TeilnehmerIn hatte vielleicht auch schon Zweifel und hatte sich genau deshalb dieser Exkursion angeschlossen, in der Hoffnung, „alternative Fakten“, aus Naturschutz-Perspektive, geliefert zu bekommen. Diese Hoffnung wurde nicht enttäuscht.

Allerdings: die Antworten von Holger Sticht fielen nicht so kurz und eindeutig aus wie jene die man kennt. Eine Erkenntnis war: es ist komplex, und so genau kann man eben nicht vorhersagen, was passieren würde, wenn man die Forstwirtschaft im Dünnwalder Wald einstellen und die Jagd auf Rehe und Wildschweine komplett einstellen würde. Naturwissenschaftler und Naturschützer nicht, aber Förster und Jäger eben auch nicht. Dabei liefert gerade der Wildpark beim Anblick der hier gezeigten Pflanzenfresser, einschließlich Wisent, Antworten, wenn man ein paar Dinge weiß, und den Gedanken selber weiter spinnt. Dinge, die man dazu wissen muss: Außer den wohlbekannten Rehen und Rothirschen, die für das Auffressen unserer Wälder verantwortlich gemacht werden, würden noch viel mehr Huftiere durch unsere Rheinische Landschaft streifen, wenn sie nicht von uns Menschen ausgerottet oder verdrängt worden wären. Wie der Wisent, der ausgerottete Auerochse, das Wildpferd, Damhirsch, Elch. Und eigentlich müsste man auch noch Waldelefant, Waldnashorn und Riesenhirsch dazu zählen, die in allen vergangenen Warmzeiten präsent waren.

Der Gedanke, den  es nun weiter zu spinnen gilt, ist dieser: Wenn es alle diese pflanzenfressenden Tiere gegeben hat, und ohne uns Menschen auch geben würde: Warum haben sie dann nicht in der Vergangenheit schon den Wald aufgefressen, und unsere Landschaft in eine Wüste, oder Steppe verwandelt? Wieso sind Eichen und Buchen von ihnen nicht komplett weggefressen worden?

Wisente im Wildpark Dünnwald
Wisente im Wildpark Dünnwald
© Justus Siebert
Warum das so ist ist fast nebensächlich, entscheidend bleibt die Feststellung: es ist so, Eichen, Buchen (Buche: unter Vorbehalt) und andere Pflanzen hat es im warmzeitlichen Mitteleuropa immer schon gegeben, und zwar in Koexistenz mit den genannten Pflanzenfressern. Aber wie muss man sich dann den Ur-Wald, mit all diesen Tieren, vorstellen? Die Antwort auf diese Frage muss auch die Naturwissenschaft schuldig bleiben. Weil wir diesen Wald nirgends haben. Es ihn wahrscheinlich, in den letzten 12.000 Jahren, auch nicht gegeben hat. Weil wir Menschen schon seit 40.000 Jahren hier sehr präsent sind. Man kann aber Vermutungen anstellen, etwas Phantasie braucht man dazu schon. Unser Wald würde auf jeden Fall anders aussehen als der Dünnwalder Wald. Weniger Bäume. Verschiedene Altersstadien von Bäumen. Mehr alte und uralte, an Altersschwäche gestorbene Bäume. Offenflächen würde es wohl auch mehr geben. Und Hecken und Brombeer-Inseln mittendrin. Also ein viel vielfältigeres Landschaftsbild als das was wir heute vor Augen haben. Ist das dann eigentlich noch ein Wald? Steppe? Savanne? Offenbar haben wir gar kein Wort für das, was unsere ursprüngliche natürliche Landschaft wäre.

Ist vielleicht auch egal, denn wir haben für diese Urlandschaft, Wildnis, ja auch gar keinen Platz mehr. Zumindest nicht im Dünnwalder Wald. Wie soll hier eine Wisent-Herde leben können, ohne SpaziergängerInnen über den Weg oder Haufen zu rennen, vor ein Auto, zwischen all den Siedlungen? Gut, der Dünnwalder Wald ist vielleicht tatsächlich nicht als Wisent-Heimat geeignet, wobei, naturwissenschaftlich genau hat das auch noch niemand untersucht. Wird aber gerade gemacht für die Wahner Heide. Da ist schon mehr Platz. Mal schauen.

Buchen-Verjüngung. Artenvielfalt sieht dennoch anders aus.
Buchen-Verjüngung. Artenvielfalt sieht dennoch anders aus.
© Justus Siebert
Nochmal zur Wildnis, und was alles dazu gehört, vielleicht ist das auch nur ein Missverständnis: Auch wenn der Dünnwalder Wald so heißt, vielleicht geht es hier ja (auch) um was anderes. Nämlich Holzproduktion. Und dazu legt man Forstflächen an. Während man in einem natürlichen Wald die einheimische Artenvielfalt das Ziel ist, will man in einem Forst möglichst viel und astloses Holz gewinnen. Solche Beispiele konnten wir uns auch auf der Exkursion anschauen, so einen Douglasien-Forst und eine Buchen-Plantage. Eng gepflanzt, eine Wuchshöhe, mit einem geschlossenen Blätterdach, wächst hier nichts anderes als die Buche. Artenärmer geht kaum. Es ist aber eben eine Holzplantage, ein Forst, und kein Wald. Und deshalb darf man hier auch nicht viel Natur erwarten. Selbst Jungbuchen haben hier kaum eine Chance.

Dass sie die sehr wohl haben, konnten wir an anderer Stelle sehen, nämlich da, wo durch welchen Einfluss auch immer (Einschlag, Altersschwäche, Rothirsch) eine Lücke in dem sonst geschlossenen Wald entstanden ist. Hier wachsen Jungbuchen, ohne dass man sie pflanzen müsste, aber auch andere Pionierarten wie die Himbeere. Gut, aber nochmal zum Reh: Würde das nicht all diese Jungbuchen auffressen, wenn es hier nicht geschossen würde und damit keinen großen Fraßdruck ausüben kann? Denn es fehlt ja der Wolf, der durch den Jäger ersetzt wird?

Zum einen: irgendeine Buche wird es schon schaffen, und wenn es nur eine ist. Oder Eiche. Damit diese eine es schafft, braucht es bestimmte Voraussetzungen. Zum Beispiel ein Brombeer- oder Weißdorn-Gebüsch, wo sie vor Verbiss geschützt ist. Was aber erst entstehen kann, wenn es Offenflächen gibt. Die Natur hat eben geschlossenen Wald vorgesehen und nicht so viele Bäume. Also zumindest im Naturschutzgebiet: gerne weniger Bäume, zugunsten der Biotop- und Artenvielfalt.

Und dann die Sache mit dem Wolf: Die Naturwissenschaft weiß es längst, dass nicht der Beutegreifer (Wolf) die Anzahl der Beutetiere (Hirsch, Reh) bestimmt sondern umgekehrt. In den Medien hat sich aber die einfache Formel aus Jäger-Perspektive durchgesetzt: Weil der Wolf ja leider noch nicht zurück gekehrt ist, müsse er durch den (menschlichen) Jäger ersetzt werden. Um das natürliche Gleichgewicht wieder herzustellen. Ja, der Wolf spielt natürlich eine wichtige Rolle für unser Ökosystem, aber eher durch seine ständige Präsenz, wodurch er das Verhalten von Reh und Hirsch beeinflusst.

Wühlende Wilschweine im Wildpark Dünnwald
Wühlende Wilschweine im Wildpark Dünnwald
© Justus Siebert
Und dann gibt es ja noch das Wildschwein. An das sich der Wolf besser nicht rantraut, weil wehrhaft, wenn es genug Rehe gibt. Hat der Wolf dann damit überhaupt jemals einen signifikanten Einfluss auf die Wildschwein-Population gehabt? Sind es hier nicht die milden Winter (Klimawandel) und Maisäcker, die eine Rolle spielen? Sind die hohen Wildschwein-Bestände überhaupt unnatürlich? Und wieso geht der Bestand nicht runter, obwohl sie so intensiv bejagt werden? Gerade die letzte Frage ist eine sehr gute Frage. Aber gerade beim Wildschwein sind die Zusammenhänge von Populationsdichte, Jagd, natürliche und menschliche Einflüsse komplex. Zu komplex, um sie im Rahmen einer solchen Exkursion auflösen zu können. Aber mitnehmen kann man, dass die einfache Formel, so viele Schweine wie möglich abzuschießen, nicht zum angestrebten Ziel (weniger Schweine) führt, und aus ökologischer Perspektive auch gar nicht anzustreben ist. Denn das Wildschwein ist sozusagen der Tiefstapler unter den üblich-verdächtigen Schädlingen. Was im Vorgarten unerwünscht ist, ist im Wald von großer Bedeutung. Durch seine Wühltätigkeit schafft es Rohboden und Suhlen, auf die viele Pflanzen- aber auch Tierarten angewiesen sind, um sich zu verjüngen und fortzupflanzen. Im Wildpark, auf begrenztem Arreal, sieht das wie eine Schlammwüste aus, in der freien Natur sieht man es auch nicht sofort, es sind eher stille und langfristige Prozesse, die da angestoßen werden.

Zum Abschluss kamen wir noch auf die Frage, wo eigentlich das Dünn vom Dünnwald herkommt? Von der Dhünn (dem Fluss)? Oder von den Dünen, die großteils inzwischen überwachsen, teils aber noch zu erkennen sind? Eine klare Antwort konnte (mal wieder) nicht gegeben werden, aber die Vermutung: dass die Dhünn ihren Namen von den Dünen erhalten, und über diesen Umweg der Dünnwald ebenfalls den seinen erhalten hat. Genug Fragen, denen man nochmal nachgehen kann, vielleicht bei der nächsten Exkursion, vielleicht in einem der anderen Heideterrassen-Teilräume, wie Schluchter Heide, Wahner Heide, Königsforst oder Lohmarer Wald.

Eine Zusammenfassung dieser Exkursion in fünf Video-Beiträgen gibt es übrigens hier.