24.07.2009, 18:03 Uhr

Kulturlandschaft Wald - Naturlandschaft Heide?

Die Megaherbivorentheorie korrigiert das Bild vom Wald als flächendeckende Vegetationsform Mitteleuropas

Wer die Literatur nach Angaben über die natürliche Vegetation Mitteleuropas durchforscht, trifft auf die Aussage, dass ohne den menschlichen Einfluß Wald insbesondere Buchenwald vorherrschen würde. Nur wenige Ausnahmen wie z.B. sehr feuchte Bereiche wie Moore oder steile Hänge, an denen sich keine Humusschicht halten kann, wären waldfrei.
Seit einigen Jahren wird jedoch die "Megaherbivorentheorie" diskutiert. Sie wirft die Frage auf, wie stark Megaherbivoren (Große Pflanzenfresser) vor der Ausbreitung des Mensch die Vegetation beeinflußt haben. Offene, baumarme Landschaften sollen ein natürliches und weit verbreitetes Bild gewesen sein. Ähnlich wie heute in der Wahner Heide der Verbiß von den Pflanzenfressern Schaf, Ziege und Rind die Heideflächen baumfrei hält.

Glanrinder ersetzen in der Wahner Heide den natürlichen Einfluß ihres Vorfahren Ur
Glanrinder ersetzen in der Wahner Heide den natürlichen Einfluß ihres Vorfahren Ur
© D. Rothkopf

Weiterhin geht die Theorie davon aus, dass der Mensch durch die Entwicklung von immer neuen, wirksameren Jagdwaffen sowie seiner Bevölkerungszunahme viele Megaherbivoren ausgerottet hat. Erst dann wäre die natürliche Offenlandschaft durch Bäume zugewachsen, bevor der Mensch den Wald später durch Übernutzung (Waldweide/Holznutzung) wieder vernichtete. Der Wald ist dann nicht als die allein dominierende natürliche Vegetation Mitteleuropas anzusehen.
Für die Wahner Heide würde dies ein Paradigmenwechsel bedeuten: Wird derzeit noch von der "Kulturlandschaft Heide" gesprochen, so müßte nach der Megaherbivorentheorie die Heide auch als eine ursprüngliche Naturlandschaft angesehen werden.
Tatsächlich belegen die Funde von in Mooren konservierten Pflanzenpollen, dass in der letzten Warmzeit (in der nur vereinzelt Menschen vorkamen) sich nie ein flächendeckender Wald entwickelte. So fehlt dort die Waldbaumart Buche ganz.
Beachtung finden sollte hier auch die heutige Wildverbißproblematik im Wald. Die Forstwirtschaft wird nur durch die Anwesenheit von wenigen Megaherbivoren (Reh, Rothirsch, teilweise Damwild oder Muffel) dazu genötigt, Anpflanzungen mit aufwendigen Zäunen zu schützen. Es kann angesichts der vielfältigen Fauna in den vergangenen Jahrtausenden ein Einfluß auf die Vegetation angenommen werden.
Wie stark jedoch dieser Einfluß war, bleibt offen. Die angesprochenen Pollenanalyseverfahren sind umstritten. Es kann nicht abgeleitet werden, ob es nur kleine Offenflächen inmitten weiter Wälder gab oder ob man sich ganz Mitteleuropa als eine Parklandschaft vorzustellen hat.
Mehrheitlich wird in der Wissenschaft hingegen der Mensch als Hauptfaktor für das Aussterben der Megaherbivoren abgelehnt. Im betroffenen Zeitraum war das Gebiet des heutigen Deutschlands von ungefähr 4.000 Menschen bevölkert, was für diese "Overkill-Theorie" bei weitem nicht ausreichend wäre. Es wird die Summe der Faktoren Klimaveränderung, Vegetationsveränderung und zuletzt erst der Mensch verantwortlich gemacht.

Fazit für den Naturschutz in der Wahner Heide ist, dass die Heidelandschaft nicht nur Relikt einer historischen Nutzung ist. Auch ohne menschlichen Einfluß würde dieser Abschnitt der natürlichen Vegetationsentwicklung (Sukzession) durch Megaherbivoren lokal über längeren Zeitraum erhalten bleiben. Dies ruft danach, den Faktor Beweidung in der Wahner Heide noch stärkere Priorität einzuräumen. Eine strikte Trennung von beweideter Fläche (= Heide) und nicht beweideter Fläche (= Wald) scheint nicht mehr zeitgemäß.
Ein erster Ansatz wäre, die in der Wahner Heide heimischen Megaherbivoren Rothirsch und Reh in die Biotopgestaltung mit einzubeziehen. Hierzu ist jedoch ein Wandel in der jagdbetrieblichen Praxis hinsichtlich der Wertvorstellung von Jagdtrophäen notwendig. Auch kann die negative Bedeutung des Begriffs "Wildverbiß" für die Forstwirtschaft in der Heide / Waldlandschaft Wahner Heide nur stark eingeschränkt Anwendung finden. Wo, wenn nicht in hochwertigen Schutzgebieten kann sich die Gesellschaft leisten, forstliche Produktionsprozesse hinter dem Wert einer natürlichen Landschaftsentwicklung anzustellen ?

Bei der Biologischen Station Soest gibt es mehr zum Thema Naturentwicklung mit großen Pflanzenfressern