22.02.2020, 14:19 Uhr

Angler wollen Kormorane abschießen lassen

Angelverein beantragt letale Vergrämung entlang von Sieg und Agger sogar in Naturschutzgebieten...

Kormorankolonie am Sieglarer See, Siegaue
Kormorankolonie am Sieglarer See, Siegaue
© H. Sticht
Die Sieg-Fischereigenossenschaft hat beim Rhein-Sieg-Kreis die "letale Vergrämung", also die Tötung von Kormoranen (Phalocrocorax carbo) beantragt. Der Antrag bezieht sich auf nahezu den gesamten Bereich von Agger und Sieg im Kreis. Dies bezieht auch sämtliche Naturschutz- und FFH-Gebiete mit ein. Ausgenommen sind lediglich Vogelschutzgebiete. Hintergrund ist die so genannte Kormoran-Verordnung der CDU-FDP-Landesregierung, welche die Verfolgung des Kormorans in großem Stil ermöglicht hat, aufgrund des EU-Rechts lediglich Vogelschutzgebiete ausnehmen musste. Als Begründung wird angeführt, der Kormoran stelle eine Gefährdung für heimische Fischbestände und die Fischereiwirtschaft dar. 

Bemerkenswert an dem Antrag ist, dass er den Stand der Wissenschaft ignoriert und mit "alternativen Fakten" operiert. Darin sind ideologische Züge erkennbar, die man ansonsten nur von rechtsextremen Gruppierungen und Parteien kennt.

Fischereiwirtschaft ist an den Flüssen tatsächlich ausgestorben: weil die Flüsse überfischt, durch Industrie verunreinigt, durch bauliche Maßnahmen wie Begradigung, Uferbefestigung, Dämme und Wehre beeinträchtigt worden waren, waren die Fischbestände zusammen gebrochen, sodass seit Jahrzehnten niemand mehr von Fischen leben kann. Übrig geblieben sind heute Angelsportvereine, die lediglich ihre alten Namen behalten haben. Einen wirtschaftlichen Konflikt gibt es also tatsächlich nicht.

Selbst in Naturschutzgebieten ist das Ufer der Sieg verbaut
Selbst in Naturschutzgebieten ist das Ufer der Sieg verbaut
© H. Sticht
Der Kormoran wird in dem Antrag als Grund für Bestandsrückgänge bei mehreren Fischarten angeführt. Wissenschaftlich belastbare Daten, die einen Rückgang von Fischarten und einen Einfluß des Kormorans nachweisen, werden durch den Antragsteller nicht vorgebracht. Laut FFH-Monitoringbericht des Landes NRW aus 2019 ist für keine Fischart ein langfristig negativer Bestandstrend nachweisbar.

Selbst wenn ein Bestandsrückgang bspw. bei der laut Roter Liste NRW gefährdeten Äsche (Thymallus thamallus) tatsächlich nachweisbar wäre und aufgrund der Zusammensetzung der Bestände stellenweise auch ein Einfluss des Kormorans erkennbar sein würde, handelte es sich hierbei aber nicht um Ursachen, sondern um Symptome! Es fehlen in den genannten Fließgewässern aufgrund der baulichen Veränderungen der Vergangenheit Strukturen, die ihnen ausreichende Fortpflanzungs- und Versteckmöglichkeiten bieten. Hierzu zählen u.a. Altwässer, periodisch geflutete Auen, Kolke, Prall- und Gleitufer mit unterschiedlichsten Wassertiefen. Deutschland hat sich, wie alle EU-Staaten, mit der Wasserrahmenrichtlinie verpflichtet, bis spätestens 2027 bei allen Gewässern den guten ökologischen Zustand bzw. das gute ökologische Potenzial wiederherzustellen, d.h. die Bausünden der Vergangenheit weitgehend zurück zu nehmen. Geld ist ausreichend vorhanden, es fehlt meist an dem Willen der Kommunen. Seriöse Verbände setzen genau hier an, weil erfahrungsgemäß nur die Renaturierung wieder zu selbsttragenden Fischpopulationen führen kann und nur damit alle Arten und Ökosysteme profitieren können. Das Agitieren mit "alternativen Fakten" und das Vertauschen von Ursache und Wirkung dagegen ist eines der Markenzeichen rechtsextremer Strömungen. 

In dem Antrag der Fischereigenossenschaft wird behauptet, andere Tierarten wie Eisvogel oder andere Wasservogelarten, die die Lebensräume des Kormorans zeitgleich teilen, würden durch die Abschüsse nicht beeinträchtigt werden. De facto kommt es durch die Abschüsse von Kormoranen sowie das Querfeldeinlaufen von Jägern und ihren nicht angeleinten Hunden zu direkten Störungen und Verdrängungseffekten für alle anderen Vogelarten inklusive streng geschützter Arten, für welche die Schutzgebiete ausgewiesen worden sind. Dabei kommt erschwerend hinzu, dass aufgrund der beantragten nahezu flächendeckenden Bejagung entlang der Flüsse keine Ruheräume übrig bleiben. Da ist es nicht verwunderlich, dass sich die Schutzgebiete im Regierungsbezirk Köln nach wie vor in einem schlechten Erhaltungszustand befinden und der Schwund der biologischen Vielfalt voranschreitet. Die Angler und Jäger sind hierfür keinesfalls allein verantwortlich zu machen, aber sie machen sich leider zum Teil des Problems. 

Kormoran neben Lachmöwen am Rhein
Kormoran neben Lachmöwen am Rhein
© H. Sticht
In dem Antrag der Fischereigenossenschaft wird der Kormoran als "Neozoe" und sein Schutzstatus daher als fraglich bezeichnet. Mit Neozoe bezeichnet man in der Wissenschaft Tierarten, die seit der Entdeckung Amerikas durch menschliche Tätigkeiten direkt oder indirekt eingeführt oder eingeschleppt worden sind. Das ist aber beim Kormoran faktisch nicht gegeben, da er in Deutschland ursprünglich heimisch ist und in ehemalige Lebensräume selbstständig wieder eingewandert war, nachdem er unter Schutz gestellt worden war. Denn die Konkurrenz zwischen Anglern und Kormoranen (in dem Antrag als "Räuber" bezeichnet) ist ein Jahrhunderte altes Phänomen, dem sämtliche deutschen Populationen um die vorletzte Jahrhundertwende und wahrscheinlich auch die nordrhein-westfälischen Kormorane einst vollständig zum Opfer gefallen waren. "Wahrscheinlich" deswegen, weil es über die allermeisten Tierarten keine historischen Aufzeichnungen über ihre Vorkommen gibt. Auch Seeadler (in NRW seit wenigen Jahren wieder Brutvogel), Steinadler und Silberreiher waren wahrscheinlich in NRW heimisch, sind nur bereits im Mittelalter oder in der Frühen Neuzeit ausgerottet worden, ohne dass dies schriftlich dokumentiert wurde oder diese Dokumente erhalten sind. Und die Idee, etwas bekämpfen zu wollen, nur weil es neu oder eingewandert ist, zeugt von einem Fremdenhass, der im Naturschutz rein gar nichts zu suchen hat.

In dem Antrag wird problematisiert, dass Brutbäume des Kormorans auf kurz oder lang aufgrund der starken Verkotung absterben. Das ist auch tatsächlich der Fall, aber eben Teil natürlicher dynamischer Prozesse. Natürlich sterben Bäume aus unterschiedlichen Gründen, durch Sturm, Krankheit, Alter, Hochwasser und andere Tierarten wie Insekten, Biber, Rinder oder Pferde. Das Fehlen dieser dynamischen Prozesse ist einer der zahlreichen Gründe für den aktuell massiven Schwund biologischer Vielfalt. Daher werden in der nationalen Biodiversitätsstrategie (2007) und der nordrhein-westfälischen Biodiversitätsstrategie (2015) der Wildnisentwicklung großer Raum und verschiedene Ziele eingeräumt. Diese Ziele sind getragen durch alle Parlamente und damit gesellschaftlicher Konsens, von welchen sich der Antrag stellende Verein zu entfernen scheint. Offensichtlich geht es der Fischereigenossenschaft darum, den Kormoran ein zweites Mal auszurotten. Warum sonst sollte man grundsätzlich in Frage stellen, dass auch Kormorane einzelne Bäume zum Absterben bringen dürfen? Oder dem Kormoran den Artenschutz absprechen und damit bestehendes Naturschutzrecht negieren?

Tatsächlich geht es derzeit in NRW um einen Brutbestand, der zwischen 1000 bis 1200 Brutpaaren schwankt und sich hier eingependelt hat. Der Bestand steigt seit Jahren nicht mehr an. Ein wesentlicher limitierender Faktor dürfte der Mangel an störungsfreien potenziellen Brutbäumen sein. Diese Brutpaare verteilen sich auf nur etwa 30 Brutkolonien mit jeweils mehr als 5 Paaren, in welchen tatsächlich einzelne Bäume absterben werden. Im Zuge von Baumaßnahmen, Forstwirtschaft, Verkehrssicherung und Wasserwirtschaft werden jedes Jahr in NRW Millionen von Bäumen entnommen.   

Die Stellungnahme des BUND zu dem Verfahren steht nachfolgend als Download zur Verfügung.